Auslandspraktikum mit Erasmus+
In Finnland als Staff mobility vom 11.03. – 15.03.2019
Staff mobility in einem Erasmus+ Projekt – KA1 – bedeutet für die Lehrkraft, die Auslandspraktikant(inn)en an den jeweiligen Praktikumsort zu begleiten und ca. fünf Tage an einer Fortbildung im Ausland teilzunehmen, mit dem Ziel, einen Eindruck vom Land und den Leuten zu gewinnen und sich mit den Kolleg(inn)en vor Ort über die pädagogischen sowie nicht zuletzt über die Unterrichtsmethoden auszutauschen.
Auf meinem Weg nach Finnland begleitete ich unsere drei Schülerinnen Ayleen Schubert, Saskia Kühnert, Vivienne Stopper vom Flughafen Tegel über Helsinki nach Turku, ein Archipel im Südwesten Finnlands, auf dem eher Schwedisch als Finnisch gesprochen wird.
Am Praktikumsort übernahm unsere Co-Partnerin Linda Glasberg-Lindholm von der „axxell“-Berufsschule die Leitung und betreute die drei angehenden Sozialassistentinnen während ihres fünfwöchigen Praktikums.
Nun begann mein „Job-Shadowing“/meine Hospitation. Ich besuchte die zwei Praktikumskindergärten, die Berufsschule „axxell“ (=Aufbruch) und eine Schule für Menschen mit starken Beeinträchtigungen „OPTIMA“. Dieser Aufenthalt war so vielfältig und reichhaltig an Gesprächsinhalten, dass ich mich hier auf fünf Aspekte beschränke:
- Meines Erachtens liegt eine Besonderheit der Pädagogik in Finnland darin, den einzelnen Menschen als Individuum zu stärken. Es findet z. Zt. eine Reform der pädagogischen Ziele statt, bei der interessanterweise ein italienisches Erziehungsmodell als Grundlage verwendet wird. Ob in den Kindergärten, bei „axxell“ oder bei „OPTIMA“, das pädagogische Modell von „Regio Emilia“ war in aller Munde bei den Pädagog(inn)en.
Dabei werden bereits die Kleinkinder nach ihren eigenen Zielen befragt und diese dann unterstützend und begleitend verfolgt. Ein Beispiel: Wird bei einem zweijährigen Kind eine Affinität zu Fischen ermittelt – und zwar im Gespräch mit ihm selbst und nicht anhand der Elternaussagen(!) –, so wird es angeleitet Kreise und Dreiecke zu malen, um diese dann zu einem Fischbild zusammenzusetzen. Später wird es ein Aquarium halten und den Lebensraum der Fische erkunden usw.
Es werden gleich zu Beginn der pädagogischen Ausbildung Verträge über Vor- und Zielstellungen bzw. das Erreichen von Kompetenzen abgeschlossen. Auch das zweijährige Kind „unterzeichnet“ mit einem Daumenabdruck, mit der Absicht, die Wahrnehmung der eigenen Person zu schulen, im Sinne von: „Mein Handeln hat Folgen“, „ich werde gesehen und gehört“, „ich darf handeln“.
Und tatsächlich werden diese „Verträge“ spätestens halbjährlich – im Kindergarten sehr viel eher – überprüft und erweitert bzw. angepasst. Dieses Konzept verfolgen wir in Berlin zwar ebenfalls, jedoch war für mich die Konsequenz beeindruckend, mit der ganz bewusst Zeit und Personal eingeplant wird, um die Auswertungsgespräche und die Anpassung der zu erlernenden Kompetenzen vorzunehmen. Das war in Finnland nicht immer so, jedoch wurde die Notwendigkeit erkannt und das Konzept nun umgesetzt, indem ausreichend Personal und Arbeitsstunden für diese Tätigkeit auch in den Stundenplänen vorgesehen werden. Die Kolleg(inn)en vor Ort sahen es als realistisch umsetzbar an. - Finnland hat 5,5 Mio. Einwohner (2017) auf 338.450 qkm Fläche* und eine – für uns – raue Natur, so dass in den pädagogischen Einrichtungen bereits die Kleinsten den Kontakt mit der Natur „trainieren“. Auch ich habe – wie die Kolleg(inn)en zuvor – über die langen Aufenthalte schon der kleinsten Kinder in der Natur bei fast jedem Wetter gestaunt und über die Wärmeschränke für nasse Kleidung und Schuhe. Die Wärmeschränke für die Menschen selbst, auch Sauna genannt, befinden sich nicht nur in jeder kleinen Wohnung, sondern auch in jedem Kindergarten und jeder Schule.
- Aufgrund der topologischen Gegebenheiten und den oft harten Wetterbedingungen, ist es besonders in den Inselgebieten wichtig, dass es ausreichend Übernachtungsmöglichkeiten in den Kindergärten und Schulen gibt. Aufgrund der Weite des Landes, gekoppelt mit der dünnen Besiedlung sind Kindergärten, Schulen und Arbeitsplätze oft kilometerweit entfernt und im Extremfall nur durch Inselhopping erreichbar. Lange Wegstrecken sind zurückzulegen und somit sind die Familien oft tagelang – selbst die Kleinen im Kindergarten –, die Großen wochenlang und die Erwachsenen durchaus auch einige Monate von den Familien getrennt. Daher hat jede Berufsschule eine Boarding School – ein Internat – in dem jetzt auch unsere Sozialassistentinnen, hier „Studentinnen“ genannt, untergebracht sind.
- Trotz aller Förderung der Individualität benennen die Kolleg(inn)en Doppelbelastung bzgl. Familie/Arbeit in Kopplung mit den hohen Lebenshaltungskosten in Finnland als großes Problem, da – wie oben erwähnt – anders als in Deutschland die Partner oft lange voneinander getrennt sind. Besonders alleinerziehende Personen, i. d. R. Frauen, haben es beruflich sehr schwer ihren Alltag zu regeln und finanziell über die Runden zu kommen.
- Beruflich vorteilhaft wirkt sich wiederum das modulare Abschlusssystem aus, d. h. die meisten Abschlüsse, die im Laufe des Schul- und Arbeitslebens erworben werden, werden für weiterführende Qualifizierungen angerechnet. Weiterhin sind Fernstudiengänge per Internet und Homeworking weit verbreitet.
Sehr gefallen haben mir auch die 100,- Euro pro Monat staatlichen Zuschuss für körperliche Fitness für pädagogische Kräfte.
Rückblickend hat sich ein Aufenthalt in Finnland als sehr wertvoll erwiesen, da ich mit meinen gewonnenen Erfahrungen mit vergleichendem Blick auf unser Bildungssystem schauen kann. Zudem ist meine Neugierde auf eine Teilnahme an Staff mobilities in anderen europäischen Ländern gewachsen.
Fazit: Meines Erachtens ist kein Bildungssystem 1 zu 1 von einem Land zum anderen übertragbar, sondern kann nur im Zusammenhang mit der jeweiligen Landeskultur betrachtet werden.
Monika Höflich
* Zum Vergleich: Einwohnerzahl Deutschland: 83 Mio. auf 357.580 qkm Fläche; Einwohnerzahl Berlin: 3,65 Mio. auf 892 qkm Fläche.
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© 2019 Monika Höflich, August-Sander-Schule